SPD-Bundestagskandidat Sven Wingerter im Gespräch mit der sozialdemokratischen Abgeordneten und Energiepolitikerin Dr. Nina Scheer
Heppenheim. Mehr Schnelligkeit in der Klimaschutzpolitik: Das wünschte sich die Bundestagsabgeordnete Dr. Nina Scheer mit dem SPD-Bundestagskandidaten im Wahlkreis Bergstraße, Sven Wingerter. So ähnlich wie während der Corona-Krise sollten ergebnisorientierte Krisensitzungen zur Bewältigung stattfinden. Viele Gäste waren ins Hotel „Felix“ gekommen, um Wingerter live und die Energiepolitikerin auf der Leinwand zu erleben. Es wurde eifrig mitdiskutiert.
Scheer setzt die Arbeit ihres Vaters Hermann, eines großen Vordenkers der SPD, mit der gleichen „erneuerbaren Energie“ fort, meinte der Kandidat zu Beginn. Den Klimaschutz sah er in diesem Jahr durch die Flut- und Brandkatastrophen „auf dramatische Weise“ in Bewusstsein gerückt. Deshalb hatte die Veranstaltung auch den Untertitel „Wie die Klimawende gelingt“. Dass sie möglich ist, unterstrichen beide Politiker.
Denn, so argumentierte die Abgeordnete, der Klimawandel ist menschengemacht. Deshalb können Menschen auch etwas dagegen tun. Sie betrachtete es als „ethische Aufgabe“, hier tätig zu werden. Auch wenn Deutschland nur einen geringen Bevölkerungsanteil gemessen an der ganzen Welt hat, ist es doch überproportional am CO2-Ausstoß beteiligt, so Scheer. Deshalb kommt den Industrienationen eine Vorbildfunktion zu. „Ein aktives Tun oder Unterlassen färbt ab“, betonte sie.
Als Beispiel nannte die Politikerin das Erneuerbare-Energien-Gesetz, von ihrem Vater mit auf den Weg gebracht. Das hat ihren Worten zufolge „als Jahrhundertgesetz auf der ganzen Welt Aufmerksamkeit erregt“ und wurde oft kopiert. Scheer erwähnte als weiteren Grund, für einen beschleunigten Klimaschutz einzutreten, die Verknappung fossiler Energie. Die wachsende Weltbevölkerung sorgt ihren Worten zufolge dafür, dass die Energieversorgung kollabiert. „Ressourcen sind endlich.“
Ohne Umstieg auf erneuerbaren Energien und eine damit verbundene Versorgungssicherheit, hob sie hervor, ist eine friedliche Welt nicht mehr vorstellbar. Scheer betrachtete jede CO2-Minderung als Erfolg. Man sollte sich nicht demotivieren lassen, wenn gesetzte Ziele vielleicht verfehlt werden. Denn klar ist: „Es muss natürlich schneller gehen“.
Die Optionen für saubere Energie „sind heute da“, unterstrich die SPD-Bundestagsabgeordnete. Es ist deshalb eine Frage der Konsequenz, wie schnell der systemische Umstieg vorgenommen wird. Denn beim Klimawandel drohen Kipppunkte, nach denen sich dieser exponentiell rascher vollziehen kann. Allerdings, bedauerte sie, gibt es nach wie vor viele Widerstände, etwa bei den Unionsparteien.
Als alternative Energie wird Scheer zufolge auch immer wieder eine längere Nutzung der Atomenergie ins Spiel gebracht. „Diesem Sturm der Diskussion müssen wir standhalten“, forderte sie. Denn ein Zurück „kann kein Weg sein“, meinte sie mit Blick auf die bevorstehende Abschaltung von Kernkraftwerken. Wer Atomenergie verlängern möchte, will in Wahrheit nur den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien ausbremsen. Doch dieser Kampf um Machterhalt der großen Energiekonzerne ist brandgefährlich. Die SPD-Frau wies darauf hin, dass es nicht nur um den CO2-Ausstoß geht, sondern auch um andere klimaschädliche Gase, wie etwa Methan.
Die Eigenverantwortung beim Klimaschutz bezeichnete Scheer als „eine zweischneidige Sache“. Rahmenbedingungen müssten klimaschädliches Verhalten abbilden, betonte sie. Sonst kommt nicht ins Bewusstsein, dass Einsparungen und Umstieg fürs Gemeinwohl wichtig sind. Außerdem gibt es Regelungslücken. Alternativen gibt es bereits, „aber sie müssen wettbewerbsfähig sein“. Sie forderte mehr Anreize, dass klimafreundliche Produkte zu einem Wirtschaftsfaktor werden.
Laut Sven Wingerter muss die Energiewende sozial gestaltet werden. Sie muss für alle bezahlbar sein. Dabei dürfen keine neuen Ungerechtigkeiten entstehen. Doch neben sozialen Ausgleichszahlungen, die höhere Energiepreise kompensieren, gehört dazu auch eine Strategie, wie die Beschäftigten gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze behalten. „Die notwendige Transformation muss sozialstaatlich ausgestaltet werden. Wenn wir die Menschen hier nicht mitnehmen und ihnen echte Perspektiven bieten, droht der Klimaschutz zu scheitern“, warnt Wingerter. Deshalb, so seine Schlussfolgerung, sei auch die SPD die richtige Partei, um Arbeit, Sozialstaat und Energiewende gemeinsam in Einklang zu bringen.
Da eine Mobilitätswende Teil der Energiewende sein muss, betonte Scheer die Rolle von Schiene und ÖPNV als lebbare Alternative zum Autoverkehr. Deshalb gilt es, „massiv in eine höhere Taktung zu investieren“. Jedoch wird der Umbau der Infrastruktur nicht einfach sein. Es wird ihren Worten zufolge kritisch, „wenn es keine Alternativen gibt, sondern nur Verbote“.
Wie soll die Energiewende kommen, wenn bis dato kaum erneuerbare Energie vor Ort produziert wird, lautete eine Frage aus dem Publikum. Eine Blaupause gibt es nicht, entgegnete Scheer. Es gilt Anreize vor Ort zu schaffen. „Die Großstadt wird immer aufs Umland angewiesen sein“, meinte sie. Der SPD-Bundestagskandidat erneuerte in diesem Zusammenhang seine Unterstützung der Fridays-fot-Future-Zielsetzung, dass eine Energiewende bis 2035 möglich ist und verwies auf entsprechende Studien, die belegen, dass und wie das möglich sei.
„Die Menschheit wird immer Energie brauchen“, führte Scheer aus. Bei einem Umstieg werden Effizienz und Einsparung mitgedacht, erläuterte sie. Die Finanzierung dafür darf nicht zu kurz gegriffen sein, wünschte sich die SPD-Politikerin. Denn etwa Flutschäden müssen auch bezahlt werden. „Es wird nur noch schwieriger, wenn wir jetzt nicht handeln“, mahnte sie.
Geld, das jetzt in die Hand genommen wird, „löst etwas aus“ und schafft in spe neue Arbeitsplätze, ergänzte Wingerter. Der Einsatz für erneuerbare Energien ist deshalb nicht nur Klimaschutz- und Umweltpolitik, sondern auch immer Wirtschafts- und Industriepolitik. Deshalb sollte ein aktiver Staat nicht kurzfristig die Kosten sehen, sondern die perspektivische Entwicklung mit den langfristigen Vorteilen betrachten.
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