„Einfach nur neue Fahrzeuge auf der Weschnitztalbahn sind nicht genug!“ 

Odenwälder SPD-Kandidaten sehen viel Verbesserungsbedarf auf gemeinsamer Zugtour


Ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr im Odenwald ist eines der Schwerpunktthemen der SPD-Kreistagskandidaten aus dem Überwald und Weschnitztal. Um sich ein eigenes Bild zu machen sowie Fahrgastwünsche und Detailfragen erörtern zu können, nutzten Karin Hartmann, Josef Rothmüller, Sven Wingerter, Detlev Haas und Timo Falter nun eine Fahrt auf der Weschnitztalbahn und machten sich dabei auch ein Bild von den neuen Fahrzeugen, die seit Dezember 2015 unterwegs sind.

 

Wingerter, der das Thema als verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Kreistagsfraktion intensiv bearbeitet, betonte gleich zu Beginn: „Der Kreis Bergstraße ist leider immer noch verkehrspolitisches Entwicklungsland“. Dabei sei ein gutes Mobilitätsangebot zentraler Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Viele Orte im Odenwald litten unter schlechten Verkehrsanbindungen und einem dünnen oder nicht vorhandenen Angebot an öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV). Zudem seien die Verkehrsangebote vom Kreis Bergstraße in benachbarte Landkreise, erst recht im Übergang vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) zum Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) oft nicht ausreichend.

 

"Kreis Bergstraße im Halbstundentakt"

 

Der Kreis Bergstraße mit seiner verbindenden Schlüsselstellung zwischen den beiden wirtschaftsstarken Metropolregionen brauche jedoch ein leistungsstarkes, attraktives und flächendeckendes Mobilitätsangebot – auch in vermeintlich kleineren Orten. Dazu gehöre die Umsetzung des Prinzips „Kreis Bergstraße im Halbstundentakt“, so dass verlässlich alle halbe Stunde ein Bus oder eine Bahn komme. Vorhandene Fahrplanlücken müssten diesbezüglich konsequent beseitigt werden. Dort, wo sich der Halbstundentakt im Linienbetrieb nicht sinnvoll realisieren lasse, sollte ein flexibles Angebot wie der Anruf- oder Flexibus eingeführt werden, um die gleichen Qualitäts- und Angebotsstandards sicherzustellen, berichtete Wingerter aus einer Diskussion, die er in Wald-Michelbach bereits angestoßen hatte. „Der aktuelle Nahverkehrsplan der schwarz-grünen Koalition im Kreis Bergstraße sieht eine Grundversorgung von lediglich 15 Fahrten pro Woche als öffentliche Daseinsvorsorge vor. Das ist völlig inakzeptabel“, kritisierte er.

 

Kritik an schwarz-grün: "Beabsichtigen, nachzudenken, etwas zu prüfen"

 

Auch sonst gingen die Odenwälder Kommunalpolitiker mit CDU und Grünen scharf ins Gericht. So sei die verkehrspolitische Bilanz der schwarz-grünen Koalitionen sowohl im Land als auch im Kreis Bergstraße geradezu ein trauriger Witz: Falsche Anreize und das Fehlen von Prioritäten bei der Infrastruktur offenbarten eine völlig konzeptionslose Verkehrspolitik, die zu einem Sanierungsstau in Milliardenhöhe geführt habe. „Die Landesregierung investiert nicht nur zu wenig in den Straßenbau wie bei der B38a, sondern verweigert auch eigene Landesmittel für den Öffentlichen Personennahverkehr“, stellte Wingerter fest.

 

Auch die schwarz-grüne Koalition im Kreis Bergstraße habe erstaunlich wenig getan, um aus eigener Initiative heraus Mobilitätsprojekte voranzubringen. „Gerade vor dem Hintergrund der Beteiligung der Grünen in dieser Koalition muss man einfach feststellen: eine grüne Handschrift für eine ökologische Verkehrswende: Fehlanzeige!“, so Wingerter. Doch mit Blick auf den Koalitionsvertrag sei das schon vor 5 Jahren klar gewesen. Verkehrsaussagen darin bestünden aus reinen Luftnummern und vagen Erklärungen, die etwa so formuliert seien: „Es ist beabsichtigt, darüber nachzudenken, etwas zu prüfen". Offenkundig habe es in den bisher 4 ½ Jahren dieser Koalition schon für das Nachdenken nicht gereicht, so die übereinstimmende Feststellung während der Zugfahrt.

 

Investitionen in Infrastruktur - „Nur neue Fahrzeuge sind nicht genug“

 

Die fehlenden Investitionen in die Infrastruktur konnten die SPD-Kreistagskandidaten auf der Strecke der Weschnitztalbahn alle paar Sekunden feststellen: Der Zug muss an über 30 unbeschrankten Bahnübergängen sowie weiteren Langsamfahrstellen abbremsen – kaum zu überhören durch den schrillen Ton der Zugsirene. „Statt Tempo 80 fahren wir dann oft nur Tempo 20 mit allen Auswirkungen auf die gesamte Fahrzeit“, erklärte Wingerter. Die Beschleunigungsstärke der modernen Fahrzeuge, die seit Dezember 2015 unterwegs sind, kann so gar nicht erst effizient genutzt werden. Der Spitzenkandidat der CDU im Kreis wollte sich zwar schon vor zwei Jahren im Vorfeld der Modernisierung Gedanken machen, ob alle diese Übergänge nötig seien. Offenbar sei es auch in diesem Punkt nur bei leeren Ankündigungen geblieben.

 

Würde die Strecke endlich einmal richtig ertüchtigt und unbeschrankte Bahnübergänge auf ein Minimum reduziert werden, könnten zusätzliche Haltepunkte – wie für Mörlenbach und Rimbach schon lange gefordert – problemlos realisiert werden und man wäre trotzdem noch schneller am Ziel, führte Wingerter aus und verwies zudem auf Überlegungen, die der Nahverkehrsberater Ulrich Grosse bereits im Jahr 2000 in einem Gutachten für den Kreis dargelegt hatte. So würde die Einrichtung eines Kreuzungsbahnhofes in Mörlenbach ein deutlich besseres Betriebskonzept ermöglichen: in Fürth, Mörlenbach und Weinheim ließen sich sogenannte integralen Taktknoten einrichten, so dass man ohne längere Wartezeiten direkte Anschlüsse an die anderen Bus- und Bahnlinien bekäme.

 

Die SPD setzt sich zudem dafür ein, dass Verbindungen der Weschnitztalbahn ohne Umsteigezwang direkt bis nach Mannheim und zurück „in einem ordentlichen Takt“ den ganzen Tag über fahren und nicht wie heute nur ein einziges Mal täglich. Auch sei  im Zuge der Ausschreibung des neuen Vertrags ursprünglich ein verbesserter Fahrplan mit zusätzlichen Fahrten auch im späteren Abendverkehr angekündigt worden. Davon sei nun leider nichts mehr übrig geblieben. Im Ergebnis begrüßten die SPD-Kandidaten zwar die neuen Fahrzeuge. Doch an den vorhandenen Mängeln der Infrastruktur, des Betriebskonzeptes und des Fahrplans könnten diese auch nichts ändern. „Für ein attraktives ÖPNV-Gesamtkonzept im Odenwald sind einfach nur neue Fahrzeuge auf der Weschnitztalbahn bei weitem nicht genug“, betonte Wingerter.

 

Notwendigkeit einer eigenständigen lokalen Nahverkehrsgesellschaft

 

Zentrales Ziel im Wahlprogramm der SPD Bergstraße ist aus diesen Gründen die Einrichtung einer echten, eigenständigen und vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) unabhängigen, lokalen Nahverkehrsgesellschaft, die als „Dreh- und Angelpunkt für einen besseren ÖPNV“ betrachtet wird. „Jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt in Hessen hat eine solche Gesellschaft, nur die schwarz-grünen Koalitionäre im Kreis Bergstraße meinen, der VRN könne das für uns mitmachen und trotz zahlreicher Interessenskonflikte unsere Ziele verfolgen“, machte Wingerter deutlich. Er verwies auf die kürzlich erfolgte Ablehnung entsprechender SPD-Anträge im Kreistag. Die Konsequenzen davon seien für die Fahrgäste deutlich sichtbar: sei es durch ein schlechteres Angebot, eine miserable Kundennähe, deutlich ausbaufähigen Mobilitätsberatungsangeboten oder eben auch beim Zugverkehr.

 

Verkehrswende als Bestandteil der Energiewende

 

Insgesamt sei es eine politische Herausforderung,  unterschiedliche Verkehrsträger stärker zu verzahnen, um so das Umsteigen in der kombinierten Nutzung aus eigenem Auto oder Carsharing, Fahrrad sowie Bus und Bahn zu vereinfachen. „Eine nachhaltige Verkehrspolitik muss die Vorteile unterschiedlicher Verkehrsträger optimal nutzen und vernetzen“, betonte Wingerter. „Klar ist auch: Wir brauchen das Leitbild einer sozialen und ökologisch-nachhaltigen Verkehrswende“, so Wingerter weiter. Diese müsse als integraler Bestandteil der Energiewende mitgedacht werden. Bezahlbare Mobilität werde langfristig nur zu erhalten sein, wenn Infrastruktur, Verkehrsträger und Antriebsformen nachhaltig ressourcenschonend und klimafreundlich seien.